Interview mit Tante Langsam – Ab jetzt leben wir nachhaltig

Interview mit Tante Langsam – Ab jetzt leben wir nachhaltig

12. Juni 2020 2 Von mamalangsam

Mama Langsam: Wie kam es zu dem Sinneswandel, dass ihr als Familie nachhaltiger Leben möchtet?

Tante Langsam: Als Rezo im Mai 2019 mit seinem Video „Die Zerstörung der CDU“ Schlagzeilen machte, sind mein Mann und ich durch sein Video auf die Aufzeichnung der Bundespressekonferenz vom 12. März 2019 gestoßen. Maja Göpels Satz „Die Irreversibilität des Klimawandels ist noch nicht verstanden worden.“ hat uns sehr getroffen. Uns wurde klar, dass sich die Lebensbedingungen für Menschen auf diesem Planeten radikal verschlechtern statt verbessern werden, wenn es uns nicht gelingt, das Ruder rechtzeitig herumzureißen. Glauben wir den Wissenschaftlern, haben wir zum heutigen Zeitpunkt noch etwa 7,5 Jahre. Es liegt also an unserer Generation. So wie meine Generation die Großeltern gefragt hat, warum sie nichts gegen Hitler, die Nazis, den Holocaust und die Verbrechen des zweiten Weltkriegs unternommen haben, werden unsere Enkelkinder uns fragen, warum wir nichts gegen die Irreversibilität des Klimawandels getan haben.

Mama Langsam: Ihr seid vor kurzem von einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt aus Malawi wieder nach Deutschland gekommen. Wo fällt es euch leichter nachhaltig zu leben – in Afrika oder in Deutschland – und warum ist das so?

Tante Langsam: Generell leben die Menschen in Malawi viel klimafreundlicher als wir: Die CO2 Emissionen pro Kopf pro Jahr liegen im Schnitt bei 0,7 Tonnen, während sie in Deutschland bei 9 Tonnen liegen! Dabei spielt das milde Klima eine große Rolle, und dass viele Menschen als Selbstversorger leben: Das ganze Jahr über kann man Gemüse und Salat anbauen. Die Häuser haben keine Heizungen, denn auch in der kalten Jahreszeit wird es nur nachts richtig kalt. Der Strom – wenn man denn welchen hat – stammt aus Wasserkraftwerken in dem Malawi-See. So war auch unser Leben in eigenen Punkten klimafreundlicher als in Deutschland, wir hatten zum Beispiel eine Solaranlage und haben Gemüse und Salat im eigenen Garten gezogen.

Allerdings sind wir ca. einmal im Jahr nach Deutschland geflogen, dienstlich oder um bei unseren Familien den Urlaub zu verbringen. Zurück in Deutschland haben wir nun beschlossen, möglichst nicht zu fliegen, auch wenn wir dann manche Freunde in der Ferne nicht mehr sehen werden. Generell gibt es in Deutschland viel mehr Konsumangebote in allen Bereichen. Häufig nicht nur herkömmliche Produkte, sondern auch nachhaltigere Alternativen. Das bedeutet, man muss Kaufentscheidungen viel mehr hinterfragen. Das ist ganz schön anstrengend und zeitraubend. Andererseits ist es eben nun möglich, Grundsatzentscheidungen zu treffen und umzusetzen, zum Beispiel zu einer Öko-Bank zu wechseln, die nicht bei Waffenherstellern oder in Kohlekraftwerke investiert.

Mama Langsam: Was bedeutet nachhaltigeres Leben ganz konkret für euren Alltag in Deutschland (bezogen auf Mobilität, Konsum, Ernährung…)?

Tante Langsam: Wir verwenden die Gemeinwohl-Ökonomie Matrix, um unser Leben systematisch umzustellen. Beim Thema Ernährung haben wir schon vor Jahren begonnen, mehr Gemüse und Salat zu essen. Seit Mai letzten Jahres essen wir jetzt aber deutlich weniger Fleisch und weniger Kuhmilchprodukte. Zurück in Deutschland probieren wir vegetarische Brotaufstriche aus und achten darauf, regionale Produkte zu kaufen.

Beim Thema Mobilität haben wir das große Glück, das von unserem Stadtteil in Frankfurt aus fast alles mit dem Rad gut zu erreichen ist. Außerdem wollen wir uns Jahrestickets für den Nahverkehr kaufen. Das ist zwar sehr teuer, aber eine gute Investition. Unser Auto nutzen wir im Moment vorwiegend, um gebrauchte Möbel über ebay Kleinanzeigen zu kaufen, ansonsten bleibt es stehen.

Nach und nach stellen wir auch Dauergeschäftsbeziehungen auf nachhaltig agierende Geschäftspartner um: Ökostromanbieter, nachhaltige Versicherungsgesellschaften… Die Plattform Utopia ist dabei ein wertvoller Ratgeber.

Mama Langsam: In welchen Bereichen fällt es euch leicht und in welchen schwerer?

Tante Langsam: Es war großes Glück, dass wir im Frühling zurückgekommen sind. So ist uns die Umstellung aufs Fahrradfahren sehr leicht gefallen. Bis zum Winter haben wir uns hoffentlich daran gewöhnt. Wir gönnen uns dann auch gute Fahrräder und gutes Zubehör, so dass es auch Spaß macht, auf´s Fahrrad zu steigen. In anderen Bereichen haben wir noch gar nicht umgestellt: Zum Kleiderreparieren und zum Verkauf von gut erhaltenen Dingen oder Fehlkäufen fehlt bisher die Energie.

Auch bei der Anschaffung von Möbeln sind wir schon an unsere Grenzen gestoßen: Wir sahen uns nicht in der Lage, Möbel aus nachhaltig produziertem Holz zu kaufen, die dreifach so teuer waren wie bei IKEA, und das bei Lieferung „Bordsteinkante“, während bei IKEA ein Aufbauservice zubuchbar ist. Hier ist es notwendig, dass Politik und Verwaltung durch ein differenziertes Konsumsteuersystem Nachhaltigkeit fördert und ordnungspolitisch eingreift, d.h. bestimmte Sachen verbietet, wie z.B. Möbel aus Hölzern aus Regenwäldern.

Mama Langsam: Wie gehen eure Kinder mit dem Thema Klimawandel um und spielt es im Schulunterricht eine Rolle?

Tante Langsam: In der internationalen Schule in Malawi fokussierte das Schulsystem darauf, die Persönlichkeiten der Kinder zu stärken und sie zu handlungsfähigen Menschen zu machen. Sie haben sich häufig mit Nachhaltigkeitsthemen beschäftigt, und wissen teilweise mehr darüber als wir Eltern, z.B. über Entwaldung und Wüstenbildung. Die Kinder haben daher ein großes Bewusstsein für das Thema Umwelt- und Klimaschutz, und sie machen sehr aktiv mit.

Mama Langsam: Was müsste sich gesellschaftlich und politisch ändern, damit es einfacher wird nachhaltiger zu leben?

Tante Langsam: Ich glaube, dass Politik und Verwaltung, aber auch die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft unglaublich viel dafür tun können, damit mehr Menschen nachhaltiger leben. Politik und Verwaltung können Anreize setzen: Es muss zum Beispiel in einer Stadt wie Frankfurt viel einfacher sein, mit dem Rad zu fahren oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, als mit dem Auto zu fahren, so dass man sich schon gar kein eigenes Auto mehr anschafft. Wirtschaft und Politik müssen Visionen entwickeln, in welchen Sektoren wir Arbeitsplätze schaffen wollen – die herkömmliche Autoindustrie und Kohlekraftwerke sind jedenfalls nicht die Modelle der Zukunft! Als Zivilgesellschaft können wir auch viel tun: Wir können dort, wo wir leben und uns engagieren, immer wieder dafür werben, Entscheidungen für die nachhaltigere Alternativen zu treffen.

Mama Langsam: Was treibt euch an? Überwiegen die Ängste oder doch die Hoffnung?

Tante Langsam: Mein Treiber ist mein Verantwortungsgefühl gegenüber meinen Kindern. Ich hoffe für sie und für uns alle, dass wir in den kommenden 7,5 Jahren tatsächlich noch die Kurve kriegen, auch wenn es manchmal aussichtslos erscheint. Die Geschichte lehrt uns, dass die Menschheit zu großen Veränderungen fähig ist, und dass Menschen, die ihre Hoffnung in wahnwitzige Ideen gesteckt haben, am Ende große Veränderungen herbeigeführt haben.

Mama Langsam: Macht es überhaupt Sinn sich umzustellen oder ist es eh schon zu spät, um dem Klimawandel entgegen zu wirken?

Tante Langsam: Die gute Nachricht der Wissenschaftler/innen ist, dass wir noch Zeit haben, um uns umzustellen. Die Corona-Krise hat eindrücklich gezeigt: Wenn es sein muss, können wir von heute auf morgen unser Leben komplett ändern. Die Klimakrise sollte jetzt mit derselben Dringlichkeit behandelt werden, durch kluge Anreize für nachhaltiges Leben, durch weitsichtige Zusammenarbeit innerhalb der EU und mit anderen Staaten, und durch ordnungspolitische Maßnahmen.

Mama Langsam: Welche Rolle spielt für euch in diesem Thema euer Glaube an Gott?

Tante Langsam: Ich bin ein tief religiöser Mensch. Mein Glaube ist mir sehr wichtig. Ich finde darin Hoffnung und Zuversicht, aber auch die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann.

Vielen Dank liebe Tante für das Interview!