
Mittendrin
Wir leben in einer Gemeinde im mittleren Deutschland. Die meisten Leute sind hier eher reich, arbeiten viel, sind zugezogen, fahren Auto, kaufen meist neu und sind ziemlich busy (es gibt natürlich auch hier einige Ausnahmen, und einige davon dürfen wir Gott sei Dank unsere Freunde nennen).
Wir leben mittendrin in dieser Stadt, fahren für gewöhnlich kein Auto, kaufen vorwiegend gebraucht, nehmen nur Vormittags-Betreuung für die Kids in Anspruch, leben in mehreren Generationen zusammen und eben eher langsam. Wir machen uns nicht viel daraus, was andere über uns denken, aber wir geben in den Augen anderer sicher ein etwas aus der Zeit gegriffenes Bild von Familie ab. Somit ist es schon manchmal eine Herausforderung sich nicht dem leistungs- und erfolgsorientierten Druck der Gesellschaft anzupassen, aber sich dabei auch nicht völlig abzugrenzen – vorallem wenn man Kinder hat. Wir haben unsere Mitmenschen um uns herum größtenteils gern, auch wenn wir oft nicht verstehen, warum sie so leben wie sie leben und möchten uns gar nicht abgrenzen. Da ist es manchmal echt mühsam, die eigene Position zu bestimmen, durchzuziehen oder abzuwägen wie man sich verhält und dabei authentisch zu bleiben.
Manche Menschen, die unsere Sehnsüchte und Ansichten teilen, steigen mit ihren Familien aus und ziehen an Orte, an denen mehr alternatives Leben möglich ist und sie Gleichgesinnte finden. Wir möchten nicht aussteigen. Wir sind uns (im Moment) sicher, dass Gott uns an diesen Ort gebracht hat und wir hier Wurzeln schlagen sollen. Mittendrin. In der Stadt. Wir müssen also Kompromisse eingehen. Und wir versuchen unseren langsamen Lebensstil so selbstverständlich wie möglich zu leben – einfach für uns und unsere Kinder, aber auch, weil wir uns wünschen, dass mehr Familien ihr Alltagsleben umstellen würden und vielleicht auf den Geschmack kommen. Das wäre einfach so viel schöner.
Mehr Gemeinschaft wäre möglich,
wenn viele weniger beschäftigt wären.
Umso mehr freuen wir uns über jede kleine Geste, jeden Moment und jede Begegnung im Alltag, die einen Hauch von einem langsameren Leben versprühen:
- über den Papa, der seinen Sohn ausnahmsweise mit dem Bus zum Kindergarten brachte, einfach nur weil sein Sohn ihn darum gebeten hatte.
- über eine Frau mit Lastenrad, die ich nun schon mehrmals im Straßenverkehr unserer Stadt erblicken durfte und wir uns mittlerweile grüßen
- über jedes Neugeborene, dass das Licht der Welt erblickt
- über eine wiedergefundene Bekannte, fast möchte ich Freundin schreiben, die seit kurzem ihren Vater an ihrem Familientisch mitversorgt.
- über jedes Schulkind, dass nicht in die Betreuung geht, sondern mit unseren Kindern den Schulweg heim schlendern kann und dabei selbstständig die Welt entdecken darf.
- über den Fußball, den eine andere Familie für uns aussortiert hat, nachdem unserer schon zerfetzt vom Spielen war.
- über die Mutter, die uns bei ihrem ersten Besuch bei uns sagte, sie habe mal Sperrmüll vor unserem Haus mitgenommen
- über einen einfachen Kindergeburtstag im Wald, mit Lagerfeuer, Musik, einfachster Kreativität und funkelnden Kinderaugen
- über die Neuen im Kindergarten, die auch schon vor dem Mittagessen abgeholt werden
- über einen Spieltreff, an dem sich sehr, sehr viele Kinder und Eltern einfach nur zum Quatschen, Spielen und Schlemmen treffen. Mitten in der Woche und mitten am Nachmittag.
- über die iranische Mutter, die für unsere befreundeten Kids, als wir uns zufällig morgens beim Einkaufen trafen, eine Verabredung für den damaligen Tag machte (ohne eine Woche vorher eine Nachricht zu schreiben) und mich abends davon abhielt meinem straffen Zeitplan der Abendroutine nachzugehen und mich stattdessen beim Abholen zu einer Tasse Tee überredete.
- über jedes stehende Auto, dass für unsere Kinder anhält, wenn sie ihren Arm ausstrecken, um eine Straße zu überqueren, an der keine Ampel ist
- über die Mutter aus dem Asylbewerberheim von nebenan, die mich nach vielen Jahren immernoch mit Namen grüßt, obwohl ich ihren längst vergessen habe.
- über die gebrauchte Kinderjacke die jemand im örtlichen Flohmarktladen verkaufte und nun unser Kind tragen darf.
- über viele kleine Kinder, die die zu klein gewordenen Klamotten unserer Kinder zum xten Mal auftragen.
- über andere Glaubende, die trotz des Weltgeschehens hoffnungsvoll und vertrauensvoll in die Zukunft blicken, da sie an mehr glauben, als an das, was sie aus sich heraus tun können.
Und ja, wir könnten jetzt genauso eine lange Liste mit Dingen machen, über die wir entsetzt sind. Aber hey, wir wollen auf das Gute blicken und uns bewusst machen was alles schon passiert und sich hoffentlich weiterentwickelt!
Vielleicht mögt ihr die Liste in den Kommentaren weiterführen? Wir möchten gerne wissen, was ihr so diesbezüglich erlebt! 🙂
Wie schön, dass Ihr in unserer Gemeinde mittendrin seid und bleibt. Wir brauchen Euch,- auch weil Ihr anders lebt.
DANKE, Conny