
Im Bauwagen als Familie
Heute möchten wir euch gerne eine befreundete Familie vorstellen, die mal so ganz anders lebt, als die meisten von uns. Ein Interview mit einer Familie, die im Bauwagen lebt:
Stellt euch doch bitte mal kurz vor :)! Wer und wieviele ihr seid und in was für einer Gemeinschaft ihr lebt.
Wir sind Nadine und Nils mit Linus (4 Jahre) und Jona (2 Jahre) und leben auf einem Hofprojekt in Stausebach in der Nähe von Marburg. Aktuell sind wir 8 Erwachsene und 4 Kinder. Wir teilen in der Gemeinschaft sehr viel, nutzen beispielsweise alle eine gemeinsame Küche, haben keine geschlossenen eigenen Wohneinheiten, haben eine gemeinsame Essens- und Hofkasse. Wir wollen solidarisch miteinander leben und einen Gegenentwurf zur kapitalistisch/marktwirtschaftlich organisierten „Außenwelt“ darstellen. Z. B. bringen wir die insgesamt erforderliche Miete (wie in der Solidarischen Landwirtschaft auch) über sogenannte Bieterunden auf, statt Miete nach der benutzten qm-Zahl zu zahlen. In den Bieterunden gibt jede*r an, wie viel sie zahlen kann bzw. wie viel sich für ihn gut anfühlt und es kommt ein Betrag zusammen. Sollte dieser noch nicht ausreichen, muss erneut geboten werden. So können finanziell Stärkere finanziell Schwächere mittragen. Einen kleinen Teil unseres Bedarfs an Obst, Gemüse und Eiern decken wir als Selbstversorger und wir versuchen vieles erstmal selbst zu machen und zu reparieren.
Wie lange lebt ihr schon im Bauwagen und wie kam es zu dieser Entscheidung?
Im Bauwagen leben wir genau seit der Geburt unseres ersten Sohnes, also seit ca. viereinhalb Jahren. Zu der Entscheidung kam es so: Wir waren seit Anfang 2015 auf der Suche nach einem Ort, wo wir uns niederlassen können. Auf eine normale Mietwohnung hatten wir keine Lust. Stattdessen wollten wir entweder einen Hof kaufen und dort eine Gemeinschaft gründen oder ein kleines Fachwerkhaus kaufen. Als wir nach einer langen Zeit der Suche etwas verzweifelt waren, suchten wir nach Alternativen und kamen auf die Idee, einfach nur ein Grundstück zu kaufen und darauf einen oder mehrere Bauwagen zu stellen. Es stellte sich dann aber schnell heraus, dass sich die Idee nicht umsetzen lässt, da fast alle unbebauten Grundstücke in Neubaugebieten waren, wo wir nicht leben wollten und man sich sicher wenig Freunde unter den Nachbarn macht mit so einer Aktion. Dann erfuhren wir auf einer Geburtstagsfeier von Freunden, dass das Hofprojekt, wo wir jetzt wohnen, neue Mitbewohnis sucht und auch Stellplätze für Wagen hat. Nachdem sich beide Seiten für unseren Einzug entschieden hatten zogen wir zunächst übergangsweise in zwei kleine Zimmer im Haus ein. Mit der Idee, in einem Bauwagen zu leben hatten wir uns aber schon so sehr angefreundet, dass wir daran festhielten. Also machten wir uns bei ebay-Kleinanzeigen auf die Suche und verliebten uns irgendwann in einen Bauwagen, der dann auch unser erster wurde. Es ist ein Oberlichtwagen, der einem Zirkuswagen auf einem DDR-Fahrgestell von einem Zimmermann aus Holz neu aufgebaut worden war. Dieser Zimmermann hatte mit seiner Familie mit zwei Kindern in ihm und einem zweiten ein paar Jahre gelebt und musste sich dann aber von ihm trennen. Uns hatte auch immer die Vorstellung gereizt, sich auf das Wesentliche zu besinnen, nicht zu viel von dem Wohlstandsschrott anzuhäufen. Als wir feststellten, dass sage und schreibe 16 Bananenkartons in den Kellerkasten des Wagens passen, waren wir fast ein bisschen enttäuscht 😉
Mittlerweile habt ihr zwei Kinder und einen zweiten Bauwagen, wie kommt ihr zu Viert auf so wenig Raum klar?
Sehr gut. Wobei das mit dem wenigen Raum relativ ist und zwar aus zwei Gründen: Zum Einen haben wir ein kleines Zimmer (ca. 10 qm) im Haus „behalten“. Das nutzen wir als Büro und Gästezimmer. Zum Anderen, verfügen wir über verhältnismäßig viel (aber gemeinsam genutzten) Raum. Im Haus nutzen wir zusammen mit unseren Mitbewohnis ein großes Bad und unsere Gemeinschaftsetage, die sogenannte G-Etage. Das ist eine Etage im Hinterhaus die überwiegend zu einem einzigen Raum umgebaut wurde. Dieser Raum ist eine große Wohnküche für uns alle. Es gibt auch noch ein Gemeinschaftsgästezimmer, ein Gemeinschaftsbüro, eine Holzwerkstatt und viel Platz in unausgebauten Scheunen. Richtig ist jedoch, dass wir für eine vierköpfige Familie verhältnismäßig wenig eigenen Raum haben. Unser Gefühl ist, dass uns mehr eigener Raum eher zur Last fallen würde. Die Kinder sind immer noch so klein, dass wir mit ihnen zwar nicht mehr in einem Bett (zumindest überwiegend) aber noch im selben Raum schlafen möchten. Daher nutzen wir zur Zeit einen Wagen als „Schlafwagen“ und einen als „Wohnwagen“. Tatsächlich sind wir aber gar nicht so oft im „Wohnwagen“. Einen weiteren Raum würden wie sicher noch seltener nutzen.
Wie wird der Bauwagen im Winter beheizt?
Die Wagen werden beide mit einem Holzofen mit Scheitholz beheizt. Das gibt eine sehr behagliche, angenehme Wärme. Außerdem lässt sich der Wagen mit einem Holzofen sehr schnell aufheizen, was manchmal nötig ist, weil so ein Holzofen nicht wie z. B. eine Ölzentralheizung permanent läuft. Unsere Wagen sind zwar relativ gut isoliert mit Holzfaserdämmung, kühlen aber natürlich trotzdem aus, wenn der Ofen längere Zeit aus ist. Das ist auch nachts erstmal gewöhnungsbedürftig. Wenn es im Winter deutlich unter 0 Grad hat, heizt man den Wagen vorm schlafen gehen auf bis zu 30 Grad auf, geht dann ins Bett, legt nachts nicht mehr nach und wacht morgens manchmal bei unter 10 Grad auf, was mit dicken Decken kein Problem ist. Der Körper gewöhnt sich daran: Nils ist mal auf einer Dienstreise morgens schweißgebadet in meinem Hotelzimmer aufgewacht, weil die Temperatur dort konstant war. In unserem „Wohnwagen“ stand schon eine sogenannte Küchenhexe, also ein Holzofen mit Herd und Ofen, die der Erbauer bei seiner Oma vor der Verschrottung gerettet hat. In unserem Schlafwagen haben wir den Rat unseres ebenfalls in einem Wagen wohnenden Mitbewohnis befolgt und uns einen Jotul 602 N (finnische Firma) gebraucht gekauft und eingebaut. Für einen Wagen können wir uns keinen besseren Ofen vorstellen.
Habt ihr fliessendes Wasser, Strom und eine Toilette im Bauwagen?
Strom haben wir. Dafür mussten wir nur ein witterungsbeständiges Kabel vom Haus zum Wagen legen. In unserem „Wohnwagen“ haben wir tatsächlich auch fließendes Wasser. Naja, fließen tut es zumindest dann, wenn wir regelmäßig unsere Kanister unter der Spüle auffüllen (meist direkt an der Regenrinne des Wagens). Aus denen wird Wasser in ein Waschbecken gepumpt. Trinkwasser holen wir mit einem Krug. Unser Traum ist noch ein Kompostklo in der Nähe der Wägen, aber zur Zeit nutzen wir einfach die Toilette im Haus und manchmal auch ein Nachttöpfchen.
Habt ihr noch einen zusätzlichen Lagerraum oder habt ihr all euren Besitz im Bauwagen?
Beide Wägen haben einen „Kellerkasten“. Dort sammeln wir Dinge, die wir gerade nicht benutzen. Außerdem haben wir einen Stellplatz in der Scheune für Möbel, die vor allem durch die Kinder gerade nötig sind (z.B. ein Kinderbett, ein Schreibtisch für später etc.). Nach jedem längeren Urlaub mit dem Rad nehmen wir uns vor alles rauszuschmeißen. Leider schaffen wir es dann doch nicht.
Gibt es etwas, was ihr vermisst und ihr euch wünschen würdet, man könnte es in einen Bauwagen integrieren?
Eigentlich ist der einzige Wehrmutstropfen, dass unsere hochwertigen Instrumente nicht über längere Zeit im Wagen bleiben können, weil die Temperatur zu stark schwankt. Die haben wir in unserem Zimmer. In der Coronazeit waren wir mehrmals in Quarantäne – zu viert in zwei Wägen. Da hatten wir ziemlich Bammel vor, aber es hat sich die gesamte Zeit angefühlt wie im Urlaub. Also wohnen wir tatsächlich so, als hätten wir jeden Tag Urlaub
Wieviel Stunden pro Tag verbringen eure Kinder draußen?
Vom späten Frühjahr bis zum frühen Herbst müsste man die Frage umdrehen. Da sind die Kinder an manchen Tagen nur zum Schlafen und um ins Bad zu gehen drinnen. In der übrigen Zeit des Jahres sind sie etwa drei Stunden am Tag draußen.
Habt ihr den Eindruck eure Kinder entwickeln sich anders, als andere Kinder die eher konventionell aufwachsen?
Nein, den Eindruck haben wir nicht. Allerdings sind sie ganz selbstverständlich draußen unterwegs und das auch im Dunkeln. Durch die Gemeinschaft sind sie ziemlich schnell sehr selbstständig geworden. Vielleicht, weil wir einen so großen „sicheren“ Bewegungsraum haben und wohl auch, weil sie es gewohnt sind, dass verschieden Menschen für sie da sind.
Wie reagieren andere Familien im Ort auf eure Lebensweise?
Wir erleben hier eine sehr große Offenheit im Ort. Sicher auch, weil wir uns hier engagieren. Nadine ist im Vorstand des Dorf- und Kulturvereins, im Kirchenvorstand und passives Mitglied der Feuerwehr. Unser Wagen steht direkt an der „Straße“. Wir hören häufig Menschen, darüber sprechen und nehmen eine gewisse Sehnsucht war, die ein solcher Wagen auslöst. Besonders neugierig sind Menschen natürlich über unsere Lebensweise als „Kommune“. Da wir aber auch regelmäßig zu uns einladen, können wir manche Vorurteile abbauen – andere wiederum bestätigen sich natürlich 😉
Wie stellt ihr euch euer Leben in fünf Jahren vor? Seht ihr euch noch im Bauwagen oder eher in einer Wohnung/Haus?
Vor einem Jahr haben wir uns diese Frage gestellt. Ein Umbruch auf dem Hof führte zunächst zu Leerstand im Haus. Wir konnten uns jedoch beim besten Willen nicht vorstellen zurück in ein Haus zu ziehen. Und das auch in fünf Jahren nicht. Anders sehen Überlegungen vielleicht für das Alter aus. Was am Schlimmsten am Haus ist: es ist sehr statisch und von der Außenwelt quasi abgeschnitten. Im Wagen hört man den Regen auf dem Dach, die Vögelchen tapsen und zwitschern, die Walnüsse klopfen und kratzen, der Wind schaukelt uns manchmal wie ein Boot, die ersten Sonnenstrahlen wärmen und erleuchten den Wagen. Ja und an Tagen, an denen man mal nicht schafft rauszugehen, müssen wir mindestens sechs Mal einen Fuß vor die Tür gesetzt haben.
Welche Motivation steckt hinter eurer Lebensweise und vertretet ihr damit auch ein gesellschaftliches oder politisches Anliegen?
Diese Verbindung ‚nach draußen‘ also die Verbindung zu unserer Umwelt, zu unserem Ökosystem, und der bewusste Umgang mit unseren Ressourcen ist uns wichtig und wird beim Leben im Wagen besonders deutlich. Wir wollen uns dem überbordenden Konsum nicht hingeben und zwingen uns durch den begrenzten Raum selbst ein wenig dazu. Bei Großeltern ist das Leben im Wagen dafür – z.B. bei nett gemeinten Kindergeschenken – immer eine gute Begründung. Auf dem Hof versuchen wir wie gesagt außerdem gemeinsam einen sozialökologischen Gegenentwurf zu vorherrschenden Gesellschaftsstruktur zu leben und nach außen zu tragen. Was uns persönlich und im ganz Besonderen dabei motiviert ist, für unsere Kinder eine lebenswerte Zukunft zu schaffen.
Vielen Dank für das Interview :)!
Sehr spannend, wie schlicht und konsumfern diese Familie lebt. jürgen und ich hatten im Frühjahr auch überlegt, ob wir in einem Zirkuswagen im Gemeindegarten wohnen sollten. Doch da war es unkomplizierter und viel preisgünstiger, das Zimmer bei unseren Freunden zu beziehen. Darin ist auch nicht mehr Platz als im Bauwagen.
liebe Grüße von Conny
Zirkuswagen im Gemeindegarten, sehr cool 🙂